Die Wallfahrtskirche von San Romedio gehört zu jenen Orten, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Es liegt nicht nur an der architektonischen Schönheit des Gebäudes, das jeden Betrachter mit seinen fünf übereinander errichteten kleinen Kirchen fasziniert. Schon auf den ersten Blick bleibt man restlos von der spürbar lebendigen Atmosphäre und den Votivgaben beeindruckt, die die Wände entlang der 131 steilen Stufen der Wallfahrtskirche schmücken.
Wer war der Heilige Romedius?
Romedio, oder Romedius, stammte ursprünglich aus der bayerischen Adelsfamilie von Thaur und gelangte auf der Suche nach einem strengen und nüchternen Leben ins Nonstal. In der wilden und abgeschiedenen Schlucht, in der sich die Wallfahrtskirche heute befindet, fand er den idealen Ort für seine Einsiedelei und ein Leben in engem Kontakt mit der Natur.
Die Einwohner der umliegenden Dörfer suchten oft Rat bei Romedius, der nicht nur ein weiser und spiritueller sondern auch gebildeter Mann war, der dank seiner gutbürgerlichen Abstammung studieren konnte. Auch nach seinem Tod besuchten die Menschen ihn an seinem Grab, um zu ihm zu beten und Gnaden zu erbitten. Damit begann der Kult um den Heiligen Romedius.
Die Vergangenheit in den Votivbildern von San Romedio
Dass dieser Ort noch heute eine große Anziehungskraft auf die Gläubigen ausübt, zeigen die zahlreichen Votivbilder, die immer wieder an den Wänden des steilen Treppenaufgangs zu sehen sind. Einst waren die Ex-Voto bemalte Tafeln, die verschiedene Situationen darstellten, in denen der Heilige Romedius eingriff, um zu helfen. Genau wie die heutigen Votivbilder befanden sich diese Tafeln entlang der Treppe und waren somit der Feuchtigkeit und starken Temperaturschwankungen ausgesetzt, die an diesem Ort herrschten. Die Provinz von Trient konnte 120 dieser wertvollen Gemälde sicherstellen und restaurieren. Heute befinden sich die Tafeln in drei Räumen des vom Amt für Denkmalpflege und -schutz der Provinz Trient eingerichteten Heiligtums.
Das älteste Ex-Voto stammt aus dem Jahr 1591. Es zeigt ein Mitglied der Inama-Familie aus Fondo, das dem Heiligen seine Dankbarkeit für den Schutz während eines Kriegs ausspricht. Die anderen Tafeln gehen auf die Zeit zwischen Anfang des 17. und 19. Jahrhunderts zurück und zeigen einen Ausschnitt des damaligen Lebens: Zu sehen sind Unfälle durch umgestürzte Karren, Krankheiten, ein vom Pferd gefallener Ritter, ein vom Dach gestürzter Zimmermann, eine vom bösen Geist besessene Frau, ein vom Ertrinken geretteter Mann, ein bewaffneter Räuberangriff, ein Bauer, der um die Heilung seines Viehs bittet.
Einige dieser Votivbilder zeugen auch von der Heiligkeit des Ortes, an dem die Wallfahrtskirche steht – dieselbe Heiligkeit, die auch Romedius in die enge Schlucht zog, durch die wir heute auf dem berühmten Felsenweg wandern. Ein Ex-Voto aus dem Jahr 1727 trägt den Titel „Die Besessene“. Das Bild zeigt eine Frau, die von einem bösen Geist befreit wird, und gibt die Steilhänge der Schlucht, den Bach in der Talsohle und den Felsvorsprung mit der darauf errichteten Wallfahrtskirche naturgetreu wieder.
Zeitgenössische Votivgaben
Jedes Jahr besuchen 200.000 Menschen die Wallfahrtskirche von San Romedio – darunter befinden sich auch zahlreiche Gläubige und Pilger. Die hier lebenden Mönche erzählen, dass die Anziehungskraft, die von diesem Ort ausgeht, selbst Skeptiker beeindruckt: Es ist, als würde man beim Überschreiten der Kirchenschwelle alle Anspannungen hinter sich lassen und mit einem Gefühl der Befreiung eintreten.
Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass es ein Ort gelebten Glaubens ist: Heilige Messen werden abgehalten, die Franziskanermönche heißen Besucher in ihrem Gästehaus willkommen und die Pilger legen ihre Votivgaben an den Wänden der Innentreppe ab. Heute wird man beim Aufstieg über die 131 Stufen nicht nur von Bildern, sondern auch von kleinen Kunsthandwerksstücken, Fotos, Zeitungsausschnitten, Krücken, Lätzchen, Stickereien, Zeichnungen und Stofftieren begleitet. Es handelt sich um moderne Danksagungen für eine abgewendete Gefahr, die Ankunft eines Neugeborenen, eine unerwartete Heilung oder für das helfende Eingreifen des Heiligen Romedius im Allgemeinen.
Die Franziskanermönche, Hüter des Klosters, erzählen, dass die Gläubigen ihre Votivgaben oft selbst an den wenigen, noch freien Stellen an der Wand aufhängen. Andere wiederum überreichen ihren Gegenstand und ihre persönliche Geschichte den Mönchen mit der Bitte, den richtigen Platz dafür zu finden. Dabei achten die Mönche mit großer Sorgfalt darauf, dass die Gegenstände an sicheren Plätzen aufgehängt werden. Wenn die Wände voll sind, entfernen sie vorsichtig einige der Votivgaben, um Platz für neue zu schaffen. Mit derselben Sorgfalt werden diese katalogisiert und in den Räumlichkeiten des Heiligtums aufbewahrt.
Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit wenn Sie diesen berühmten Wallfahrtsort das nächste Mal besuchen und betrachten Sie die Lebensbilder der Menschen, die dem Heiligen mit dem Bären ihre Dankbarkeit für die empfangene Gnade ausdrücken!